Landschaft und Ortsbild
Zur Geologie des Glattals
Ein Zehntel der Glatt gehört uns! Das ist so gemeint: Rund 34 km misst der Glattlauf, vom Ausfluss aus dem Greifensee bei Schwerzenbach bis zur Einmündung in den Rhein bei Rheinsfelden gemessen, und etwa dreieinhalb Kilometer davon fliessen durch die Gemarkungen der Gemeinde Opfikon-Glattbrugg. Unser Gemeindebann liegt nahezu hälftig beidseits der Glatt. Somit handelt es sich bei unserem Gemeinwesen um eine typische Glatttalgemeinde. Da rechtfertigt es sich wohl, so meinen wir, eine kurze Besinnung einzuschalten über Wesen und Charakter, über Werden und Sein des Bodens, auf dem wir wohnen, der Landschaft, in der wir leben.
Den Liebreiz der Glattal-Landschaft besingen zu wollen, hiesse wohl Eulen nach Athen tragen, oder — um ein thematisch näher liegendes Bild zu gebrauchen — Wasser in die Glatt schütten. Lassen wir aber dennoch, bevor wir uns der Geologie zuwenden, das Bild dieses Tales vor uns erstehen, wie es sich an einem hellen Junitag darbieten mag : Da liegt zunächst das glitzernde Gewässer des Greifensees, gleichsam von freundlicher Hand in eine flache Schale gegossen, wie ein silberner Spiegel in grünem Rahmen. Dieser Rahmen aber ist eine liebenswürdige Landschaft, die sich in sanften Schweifungen und weichen Wellen und ohne harte Akzente unmerklich gegen den Rhein hinunter senkt. Der Horizont ist tief, und durch den weiträumigen Glattalhimmel segeln Sommerwolken, Wattebäuschchen, wie Hodler sie malte. Doch nun genug des Lyrischen.
Wenn sich die Frage nach der Entstehung des Glatttals stellt, tauchen wohl sogleich Schulerinnerungen auf, Erklärungen, etwa dahingehend, es sei das Glattal durch eiszeitliche Gletscher in seine heutige breite Trogform gepresst worden, und es hätten ihre Stirnmoränen das Schmelzwasser zu Seen aufgestaut. Das klingt glaubwürdig und klar — aber gemach! Die neuere geologische Forschung zeigt, dass es mit der hobelnden und schleifenden Tätigkeit der Gletscher gar nicht so weit her ist. Wer unsere Mittellandmolasse durchtalt und ausgefressen hat, das waren weniger die Eiszeitgletscher als vielmehr die mächtigen Schmelzwasserströme der Zwischeneiszeiten.
Doch schon melden sich neue Zweifel: Jedem Betrachter muss das Missverhältnis zwischen dem immerhin zwei bis vier Kilometer breiten Talboden und dem doch eher harmlosen Flüsschen Glatt (schon sein Name ist bezeichnend undramatisch) auffallen. Selbst eine fünfmal wasserreichere Glatt hätte dieses Tal nicht ausgenagt! Da mussten andere Kräfte am Werk gewesen sein. Wir werden es sehen.
In den Zwischeneiszeiten floss nämlich eine «Urlinth», wohl ein gewaltiges und unbändiges Alpengewässer, vom Glarnerland herab über Rappenwil—Grüningen—Mönchaltorf gegen den «Urrhein», und sie war es, die das heutige Glattal aushob! Später aber erfolgte, wahrscheinlich verursacht durch eine Geländeaufwölbung im Raume Feldbach-Hombrechtikon (wiewohl sich die Gelehrten hierüber nicht ganz einig sind), eine Umlenkung der Linth ins Zürichseetal. — So wurde unser Glattal zu einem der eigenartigsten Täler des schweizerischen Mittellandes : Es ist ein Tal, das nur noch aus seinem Unterlauf besteht, ein «Taltorso» gewissermassen, dessen Mittellauf überhaupt fehlt, während sein Oberlauf (das Glarnerland) zwar noch da ist, sich aber heute anderswohin entwässert!
Die Aufbiegung der Geländeschwelle von Hombrechtikon (nennen wir sie mit Vorbehalt so) vermochte zwar der Linth einen neuen Unterlauf zuzuweisen, verhinderte aber nicht, dass in der letzten Eiszeit, der Würmphase, ein Nebenarm des Linthgletschers über sie hinweg von Rapperswil ins Glattal hinüber kroch. Als vor 7000 Jahren auch diese Eiszeit ihr Ende fand, erfolgte vermutlich der Rückzug der weit über das Mittelland ausgefächerten Gletscherzungen sehr schnell. Der «Rückzug» darf aber nicht in dem Sinne verstanden werden, wie etwa eine Schnecke ihre Fühler einzieht; es war vielmehr so, dass die Gletscher im wärmer werdenden Klima zunächst stagnierten, später auseinanderbrachen. Dabei kam es vor, dass da und dort grosse Eismassen, riesige Eiskuchen sozusagen, liegen blieben, indem ihre Verbindung mit dem Quellgebiet des Gletschers abriss. Diese «Toteismassen» sind für die Entstehung aller Alpenrandseen verantwortlich, mögen sie nun Sempacher- oder Baldeggersee, Garda- oder Tegernsee heissen — artverwandt mit ihnen ist auch der Greifensee.
Die Toteismassen hatten ein sehr langes Leben; rings um sie herum vollzog sich all das, was wir mit alluvialer Tätigkeit bezeichnen: Flüsse brachten Geschiebe und Geröll, reicherten Schwemmland und Schotterebenen an und füllten die alten Täler teilweise wieder auf. Die abgehängte Toteismasse aber sparte eine Geländewanne aus und entzog diese der Auffüllung durch Flussgeschiebe. Der letzte Schritt ist sogleich getan: Als das tote Gletscherbruchstück endlich geschmolzen war, füllte sich die an seiner Stelle zurückgebliebene Vertiefung alsobald mit Wasser — der Greifensee war da. Fassen wir zusammen: Im Greifensee sehen wir die Lagerstätte einer vom Seitenzweig des Linthgletschers abgehängten Toteismasse, und das Glattal als Ganzes erkennen wir als Produkt der kraftvollen Tätigkeit eines zwischeneiszeitlichen Alpenstromes, der Urlinth.
Die Glatt - bald Freund, bald Feind der Menschen
Von der alten zur neuen Glatt, ein hundertjähriger Krieg um die Finanzen
Das bescheidene Flüsschen, welches unserem Tal den Namen gibt, ist uns ein treuer und doch seit langem so sehr misshandelter Helfer. Er sorgt dafür, dass die vom Himmel kommenden Fluten unsere Strassen, Plätze und Fluren nicht ertränken, und nimmt vor allem die ihm seit vielen Jahrzehnten in steigendem Masse zugemuteten unappetitlichen Abwasser willig auf. In früheren Jahren hat die Glatt ihren Anwohnern allerdings viel Sorge bereitet. Zwar wurde sie 1742 wie folgt gerühmt: «Ein schöner, klarer Fluss, so zu unterst dem Greifensee seinen Auslauf nihmet, durch ein schön fruchtbar eben Geländ, neben Dübendorff, Rümlang, Ober- und Niederglatt, Hoch- und Glattfelden hinstreicht, und unterhalb bey Rheinsfelden sich in den Rhein einsenket, fliesst gemeinlich ganz sanft und glatt, danahen der Fluss selbst den Namen hat.»
Gegen diese friedliche Schilderung muss man aber misstrauisch werden beim Betrachten der vor rund 300 Jahren entstandenen Gygerkarte des Kantons Zürich. Der daraus entnommene, auf Seite 33 wiedergegebene Ausschnitt zeigt, dass die Glatt damals unsere Gegend in vielen wilden Krümmungen durchlaufen, sich vielfach in parallele Stränge aufgeteilt und andernorts wieder vereinigt hat. Dieser unregelmässige Lauf verrät geringes Gefälle und lässt starke Versumpfung des Geländes vermuten. Darauf weist auch der Umstand hin, dass die Dörfer nicht direkt am Fluss, sondern durchwegs an erhöhter Stelle lagen, sei es auf der Kuppe einer Moräne, wie Oberhausen, oder an dem das Tal seitlich begrenzenden Abhang, wie Opfikon.
Die Korrektion von 1830
Die obigen Vermutungen werden bestätigt durch den Rückblick in einem regierungsrätlichen Bericht vom 1. Brachmonat 1867:
«Das ausgedehnte Thal der Glatt litt seit den frühesten Zeiten durch Überschwemmungen und Versumpfung, deren allmälige Überhandnahme schon im 17. Jahrhundert die Grabung eines ziemlich geraden, fast ganz neuen Bettes von der Herzogenmühle (Wallisellen) bis nach Oberglatt hinab veranlasst hatte. Bei der geringen Tiefe jener Ausgrabungen und der Höhe der Mühleschwellen, welche unverändert beibehalten wurden, entsprach jedoch der Erfolg den Erwartungen nicht. Auch spätere Versuche, dem Übel durch Abschneiden der nachtheiligsten Flusskrümmungen einigermassen zu begegnen, führten nur zu der Überzeugung, dass durch bloss theilweise Korrektionen dem Übel niemals abgeholfen werden könne.
In den Jahren 1807 bis1810 hatten sich die Überschwemmungen der Glatt in grösserem Masse und in den nachtheiligsten Zeitpunkten wiederholt; die Nothwendigkeit einer durchgreifenden Verbesserung des Laufes des Flusses wurde immer lebhafter gefühlt, und so kamen von allen Seiten die Bittschriften bei der Regierung ein, in welchen der traurige Zustand der verschiedenen Abtheilungen des Thales geschildert, der nachtheilige Einfluss der Überschwemmungen auf die Bodenerzeugnisse und den Wohlstand der Bewohner überhaupt dargestellt und auf das Dringendste um Abhilfe des immer weiter sich verbreitenden Übels der jährlichen Überschwemmungen und der allmäligen Versumpfung des Thales nachgesucht wurde.»
Auf diese Hilferufe hin erstattete die Wasserbaupolizei-Kommission am 13. Weinmonat 1812 dem kleinen Rathe zu Zürich einen von Escher von der Linth verfassten Bericht über die erforderlichen Korrekturen. Auf Grund dieses Berichtes wurde dann vorerst der unterste Teil des Flusslaufes korrigiert, und 1825-30 folgte die Verbesserung der Strecke von Oberglatt bis zur Mühle Glattbrugg (etwa am Ort der heutigen Teppichfabrik).
Die Kosten des neuen, geradlinigen Kanals auf letztgenannter Strecke beliefen sich auf 154'000 Franken damaliger Währung. Sie wurden vom Kanton vorgeschossen, sollten aber nach bestimmtem Verteilplan den durch die Korrektur begünstigten Grundeigentümern, also auch solchen von Opfikon, überbunden werden. Gegen dieses Ansinnen entstand nun aber nachträglich allerseits vehemente Opposition. Die Verhandlungen beschäftigten verschiedene Kommissionen und zogen sich bis 1839 hin. Der Zinsfuss für die ausstehenden Beiträge, welcher vorerst auf 4 % angesetzt war, wurde auf 4 % für die ersten sechs Jahre und auf 3 % für die weitere gleiche Dauer ermässigt.
Da dieses Entgegenkommen aber die Bauern noch nicht zum Einlenken bewog, anerbot der Kanton die Übernahme der Hälfte, dann von zwei Dritteln, von drei Vierteln und schliesslich von fünf Sechsteln der Kosten. Die Bauern aber fanden offenbar, Hartnäckigkeit mache sich bezahlt, und beharrten auf ihrer Forderung der vollen Kostenübernahme durch den Staat. Um endlich reinen Tisch zu erhalten, gab letzterer nach. Am 29. Brachmonat 1839 genehmigte der Regierungsrat einen mit den Gemeinden Opfikon, Rümlang, Oberhasli und Oberglatt abgeschlossenen Vertrag, nach welchem ihnen «alle weitern Verbindlichkeiten bezüglich auf die über diese Glattkorrektionen erlaufenen, von dem Staat aufgewendeten Kosten erlassen» wurden. Immerhin hatten die Gemeinden die auf etwa 13'000 Franken aufgelaufenen Entschädigungen für das vom neuen Kanal beanspruchte Land zu übernehmen.
Die Korrektion von 1878
Wegen des oben geschilderten, für den Kanton so ungünstigen Abschlusses hielt nun die Behörde begreiflicherweise mit der Weiterführung des grossen Werkes im obern Teil des Tales zurück, obschon die Einwohner immer wieder dringend mahnten. Eine 1852 eingereichte Petition der Gemeinden von Opfikon bis Greifensee veranlasste den Kanton zur Rückfrage nach der Bereitschaft, einen angemessenen Teil der auf 300'000 Franken geschätzten Kosten beizutragen. Opfikon erklärte sich zur Zahlung von CHF 25.00 pro Juchart entwässerten Bodens bereit (rund 0,7 Rappen pro Quadratmeter). Die Angebote der übrigen Gemeinden gingen auch nicht höher, lagen zum Teil sogar wesentlich darunter. Für die total 2220 Juckarten hätte das aber nur etwa einen Fünftel der Kosten eingebracht, weshalb das Vorhaben wieder in der Schublade verschwand.
Erst 1867 entstand dann der oben erwähnte Bericht über den weitern Ausbau, dessen Kosten nun schon auf 703'500 Franken errechnet wurden. Die Vorlage schloss indessen mit der Empfehlung, den Ausführungsbeschluss erst nach Festlegung des Staatsbeitrages zu fassen. Gebrannte Kinder fürchten das Feuer.
Das Projekt ruhte darauf erneut, bis 1876 ein Hochwasser die im vorangegangenen Jahrhundert erstellten Schutzbauten im obern Flussgebiet zerstörte. Dieses Ereignis bewirkte nun in den Jahren 1878-95 eine durchgehende Korrektion, welche indessen die Glatt nicht tiefer legte, sondern mit Hilfe aufgeschütteter Seitendämme am weitern Überfluten der anstossenden Gebiete hindern sollte. Das hatte allerdings zur Folge, dass stellenweise schon der mittlere Wasserspiegel, erst recht aber das Hochwasser höher stand als das Land daneben. Auf eine Erschliessung dieser ausgedehnten Felder für Kultur- und Bauzwecke nahm man also damals keine Rücksicht (siehe auch Kapitel «Oberhauser Ried»).
Die Glattabsenkung von 1936
Am 14. Juni 1936 stimmte dann das Zürchervolk einer neuen Vorlage zur Tieferlegung der Glatt von Wallisellen bis Niederglatt zu. Die Kosten waren zu 8'115'000 Franken errechnet. Sie sollten nach Abzug des Bundesbeitrages zu 50 % vom Kanton und zu je 25 % von den Gemeinden und den Grundeigentümern getragen werden. Das grosse Werk sollte, wie Regierungsrat Maurer vor dem Kantonsrat erläuterte, weitere Überschwemmungen verhüten, aus Sumpfland Kulturland entstehen lassen, gesünderes Wohnen erwirken, den Abfluss der Abwasser sicherstellen und damit die Besiedelung der Ebenen ermöglichen. Im weitern sollte es – ein Zeichen der damaligen Zeit – der Arbeitsbeschaffung dienen, weshalb soweit möglich Handaushub vorgeschrieben wurde.
Dieses weitsichtig geplante Werk war die Voraussetzung für die heutige Entwicklung des Glattals, nicht zuletzt auch unserer Gemeinde. In den Perimeterplan aber war, wenn auch mit abgestuften Belastungen, ein so grosses Gebiet einbezogen, dass auf die direkt an der Glatt liegenden Grundstücke nur bescheidene Beiträge von etwa 1 % des geschätzten Wertes entfielen. Trotzdem aber stellten sich ausgerechnet die Glattalgemeinden, denen der Nutzen des ganzen Werks in erster Linie zugute kommen musste, gegen das Vorhaben.
Am April 1936 beschloss eine Versammlung der Gemeindevertreter von Wangen bis Niederglatt, die Vorlage in einer gemeinsamen Aktion zu bekämpfen. Auch der Gemeinderat von Opfikon erklärte sich dabei zur Mitwirkung bereit. Tatsächlich hat dann das Glattal die Kreditvorlage mehrheitlich verworfen, Opfikon B. mit 218 gegen 115 Stimmen. So musste das Zürchervolk den Grundeigentümern unserer Gegend eine wesentliche Voraussetzung für die heutige Bodenpreissteigerung direkt aufzwingen. Es besteht aber keine Veranlassung, unsere damaligen Einwohner als besonders kurzsichtig zu bezeichnen; die zuständige kantonale Stelle weiss zu berichten, dass bei ähnlichen Projekten auch heute noch die genau gleichen Widerstände auftreten.
Die Ausführung des beschlossenen Werks ging in drei Etappen vor sich :
- Rümlang bis zur Einmündung des Leutschenbaches (städt. Kläranlage),
- Leutschenbach bis Herzogenmühle,
- Oberglatt bis Rümlang.
Der unsere Gemeinde berührende erste Ausbau erfolgte Ende 1936 bis Anfang 1940. Diese Arbeiten haben nun die Glatt, wie das ausserordentliche Hochwasser vom 21. September 1968 gezeigt hat, mindestens in unserem Gemeindebann wohl endgültig gezähmt, und da die Menschen heute auch ernsthaft daran sind, ihre an dem Fluss so viele Jahrzehnte lang begangenen Sünden gutzumachen durch den Bau kostspieliger Kläranlagen, besteht auch Aussicht, dass er bald einmal wieder allerseits werde Freude bereiten können.
Wassernot an der Glatt
Eine Gefahr besonderer Art hat die Glatt im Jahre 1798 heraufbeschworen : «Im Dezember 1788 fiel ein excessiv-grosser Schnee und gegen das Ende und im Anfang des Jenners eine fast unertragliche Kälte. Der kälteste Tag war der Sylvestertag. An demselben verfrörten sehr eile Leüte ihre Hände und Füsse, dass einichen die Finger oder Zehen mussten amputiert werden, hier dem Rudolf Schütz von Oberhausen. Es gab hin und wieder verfrorene Menschen im Schnee liegend, doch aus diser Gemeinde keine.
Der Zürich- und alle Seen waren zugefroren. Den 26. und 27.Jenner schmolz der Schnee schnell, das Eis in der Glatt kam zu grossen, scheürthor-breiten und 3 Schuhe diken Stuken daher zu schwimmen und beschädigte alle Müllen übel. Die ganze Pfarrey, musste der Glattbruk-Mühe zu Hilf kommen, sonst würde es sie weggenommen haben.»
Das Oberhauser Ried
Wohl den meisten Einwohnern unserer Gemeinde, die gelegentlich einen Spaziergang glattaufwärts machen, muss es auffallen, wie schnell und weit die Stadt Zürich schon in dieses ehemalige Sumpf-und Riedland hinausgewachsen ist. Es ist selbst für einen Ortsansässigen schwer, sich des Landschaftsbildes zu erinnern, dem man noch vor vierzig Jahren dort begegnet ist.
Dieses über hundert Hektaren grosse Ried war damals noch ein Paradies für Fische, Frösche, Wildenten, Fischreiher und Fischotter; ja selbst der Storch war kein seltener Gast dieses Gebietes. Die blauen Sumpflilien wurden zu Tausenden von Blumenfrauen gepflückt und an der Bahnhofstrasse verkauft. Ausserdem waren die Anwohner auch reich gesegnet mit einem Heer von Stechmücken und allen Sorten von Ungeziefer, das den Fröschen reichlich Nahrung bot, wofür sie sich dann zum Abschluss des Tages mit einem stündigen Abendlied bedankten.
Bis gegen Ende des letzten Jahrhunderts hat sich die Glatt in unzähligen Windungen und getrennten Wasserläufen mühsam einen Weg durch diese Ebene gebahnt. Zwar waren, wie im Kapitel «Von der alten zur neuen Glatt» geschildert, schon früher verschiedene Korrekturen versucht worden. Die Hochwasser zerstörten aber jeweils die notdürftigen Verbauungen. In den achtziger Jahren leitete man dann die Glatt, von ihrem Eintritt in unsere Gemeinde an, auf kürzestem Wege gegen Oberhausen. Trotz diesem grosszügigen Eingriff blieb aber das ganze Gebiet sumpfig, weil das Flussbett zu hoch lag, so dass schon bei mittlerer Wasserführung die einmündenden Bäche zurückgestaut wurden und jedes Hochwasser das ganze Ried zu einem grossen See werden liess.
Im Jahre 1910 nahm sich das kantonale Meliorationsamt erneut dieses Sumpfgebietes an. Weil eine Entwässerung aus obigen Gründen nicht möglich war, entschloss man sich zu einer neuen Flureinteilung mit Weganlagen und zu einer Bewässerungsanlage, welche einen bessern Streueertrag gewährleistete. Damals war Riedstreue sehr begehrt, so dass sogar Bauern von Erlenbach und Herrliberg im Oberhauser Ried Streuwiesen kauften. – Dank der Bewässerungsanlage war es nun auch möglich, im Winter grosse Eisfelder für jung und alt anzulegen. Damals kamen in kalten Wintern die Schulklassen von Kloten regelmässig auf diese schönen, grossen Eisfelder. Zu jener Zeit entstand auch das grosse Oerlikoner Eisfeld, damals eine Attraktion; an schönen Sonntagen wirkte dort die Harmonie Oerlikon-Seebach oder der Musikverein Opfikon mit. Heute steht an jenem Ort die Grossgarage der städtischen Verkehrsbetriebe.
Die ganz grosse Wende kam dann in den Jahren 1936-37, als auf Drängen von Regierungsrat Maurer die Glatt tiefer gelegt wurde. Dank dem Ankauf der Wasserrechte in Glattbrugg und Rümlang und der anschliessenden Beseitigung der dortigen Stauwehre konnte die Flusssohle um volle drei Meter gesenkt werden. Damit war die Voraussetzung für eine wirksame Entwässerung des ganzen Riedes bis nach Oerlikon geschaffen. Die in letzterem selber notwendigen Meliorationsarbeiten wurden dann in den Jahren 1941-44 ausgeführt.
Dieser massive Eingriff in die Natur – notwendig aus wirtschaftlichen und hygienischen Gründen –hat mit einem Schlag der Wasserromantik im Ried ein Ende gesetzt, das Heer der Wasservögel verscheucht und den Froschgesang verstummen lassen.
Vom ehemaligen Fischreichtum der Glatt
Das Fischereirecht in der Glatt, das ursprünglich dem St.-Martins-Kloster auf dem Zürichberg gehört hatte, dann aber an das Grossmünsterstift gelangt war, gab öfters zu Meinungsverschiedenheiten Anlass. Die Oberhauser hatten als Lehensleute der Propstei das Vorrecht, soweit des Kustors Twing und Bann ging, in der Glatt zu fischen, aber bloss für den Eigenbedarf und nicht für den Verkauf. Nur in der Fastenzeit – während welcher man landauf, landab viele Fische benötigte – durften sie fischen, soviel sie wollten und – nach der Offnung von 1393 – ihren Fang auch frei verkaufen. Das gleiche Recht besassen auch die Einwohner von Opfikon gemäss ihrer Offnung, durften sie doch in der Fastenzeit so viele Fische fangen, dass sie aus dem nicht selber verzehrten Überschuss Salz und Eisen kaufen konnten.
Aus dem Jahr 1742 wird berichtet:
«Der Fluss wird wenig beschiffet, ist aber fischreich, und sonderlich werden viele schöne Ade darinnen gefangen, die in Menge in die Fehrne verhandlet werden. Gegen seinem Auslauff bringt er delicate Forellen, und hat allda zu einer gewissen Zeit, vor Hrn. Landvogt von Eglisau, einen nutzlichen Nasenfang.»
Nach anderer Quelle wurden in der Glatt Karpfen, Forellen und Hechte in grossen Mengen gefangen. Aale aus der Glatt sollen nach Ulm getragen und von dort auf der Donau den Fürstenhöfen zu Wien und Budapest zugeführt worden sein. Die gnädigen Herren zu Zürich regelten die Fischerei immer wieder durch Glattmandate. Zum Schutz vor Raubwirtschaft verboten sie schon 1506-1600 bestimmte Fangarten. Das Fischen war nur Stadtbürgern und mit Fischenzen (Fischereirechten, welche vom Regalinhaber an Korporationen und Einzelpersonen verliehen wurden) versehenen Landleuten erlaubt, und der Verkauf der Fische durfte nur in der Stadt erfolgen, doch hielten sich die Bauern meist nicht an diese Gesetze.
Einer der fischreichsten Flüsse der Ostschweiz
Dass aber die Glatt noch bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts einer der fischreichsten Flüsse der Ostschweiz war, ist heute kaum mehr zu glauben. Und doch ist sie dank ihrer Eigenart dazu berufen, ein Tummelplatz für Fische und alle andern Wassertiere zu sein. Im Gegensatz zur Thur und Töss ist der Wasseranfall verhältnismässig konstant. Bei Gewittern steigt sie langsamer an, und auch das Abschwellen geht ruhiger vor sich dank der ausgleichenden Wirkung der beiden Seen im Oberland. Eine weitere günstige Eigenschaft ist seine für schweizerische Verhältnisse breite, flache Talsohle mit sehr wenig Gefälle. Dadurch werden die Zuflüsse der Glatt zu seichten Gewässern, welche früher für Fische und Frösche ideale Laichplätze waren. Schwärme von Fischen kamen vom Rhein glattaufwärts, um an diesen geeigneten Orten für ihren Nachwuchs zu sorgen. Es ist nicht übertrieben: Man konnte zu jener Zeit von der Glattbrücke aus mit einem Stein einen Fisch treffen; bei den damaligen Schwärmen, wie man sie heute nur noch in einer Fischzuchtanlage sehen kann, war ein Fehlwurf beinahe unmöglich.
Den alten Löwen
Die Familie Siegrist führte zu jener Zeit den alten Löwen als weit herum bekannte Fischwirtschaft und besass auch das Fischereipatent im Gebiet unserer Gemeinde. Die leckern Fischgerichte, die grosse Portion zu 70 oder 80 Rappen, lockten viele Sonntagsausflügler in den schattigen Löwengarten, welche dann am Abend gut gelaunt das grüne Tram vor der Wirtschaft bestiegen, das sie auf holperiger Fahrt wieder zur nahen Stadt brachte. Am Sonntag konnte die Oberhauser Dorfjugend beim Einfangen der Fische mit Schleppnetzen zusehen. Man verankerte ein Netz quer durch den Fluss, spannte ein zweites weiter oben aus und zog letzteres an beiden Ufern langsam abwärts, währenddem man im Zwischenraum mit Stangen auf das Wasser schlug, um die Fische zu beunruhigen und in die Netze zu treiben. Bei gut gelungenem Fang wurden so zentnerweise Forellen und Barben aus dem Wasser gezogen.
Hoffnung
Wenn man diese Zeit in der Erinnerung wieder auferstehen lässt, wird einem erst recht der brennende Wunsch wach, etwas von dieser unverdorbenen Natur wieder zurückgewinnen zu können. Hoffen wir, dass unsere Zeitgenossen noch erleben dürfen, wie durch die Kunst der Techniker und Chemiker unsere liebe alte Glatt nochmals zu neuem Leben erwacht.
Geschichtliches von Opfikon, seinen Waldungen und Holzkorporationen
Quelle: Opfikon Glattbrugg Oberhausen - Einst und jetzt 1969