Zeiten der Not
Wirklichkeit und Trugbild
Gerne spricht man von der guten alten Zeit, und beim Anblick der schönen Trachten und der farbenprächtigen Uniformen aus vergangenen Jahrhunderten, bei der Schilderung üppiger Hochzeitsschmäuse könnte man meinen, unsere Vorfahren hätten in Saus und Braus gelebt. Dass aber die Wirklichkeit diesem Trugbilde nicht entsprach, verrät die Geschichte unseres Dorfes, welche immer wieder von Zeiten größter Not berichten muss. Hievon seien hier einige Episoden aufgeführt, der von H. Wettstein verfassten Chronik der Kirchgemeinde Kloten entnommen.
Missernten, Teuerung und Hungersnot
Die damalige Dreifelderwirtschaft war, verglichen mit der heutigen Landwirtschaft, wenig ertragreich und bot daher der ständig wachsenden Bevölkerung schon in normalen Zeiten kaum ein Leben in Überfluss. Missernten aber hatten sehr rasch Teuerung und Hungersnot zur Folge, besonders wenn auch im Schwabenland die Ernte schlecht ausfiel und daher die Getreidefuhren über den Rhein ausblieben. Für einen wirksamen Ausgleich aus weiter abgelegenen, verschonten Gegenden fehlten ja damals noch die Eisenbahnen.
Unterernährung, Suppenküche und Almosenamt
So berichtet die Chronik, dass im Jahre 1571 in der Kirchgemeinde Kloten während der Zeit vom Neujahr bis zur Ernte 48 Einwohner starben, während sonst damals in gleicher Zeitspanne nur mit etwa 10 Beerdigungen gerechnet werden musste. Die Ursache der so stark erhöhten Sterblichkeit war zweifellos Unterernährung, denn zu gleicher Zeit klagte man bitter über ständig steigende Getreidepreise. Auch aus den Jahren 1718 und 1771 ist vermerkt, dass wegen des stark gestiegenen Brotpreises ein grosser Teil der Einwohner von der Gemeinde und der Stadt unterstützt werden musste. Als Folge eines sehr nassen Jahres stiegen 1817 die Preise derart, dass der Taglohn eines Handwerkers gerade noch für ein Brot reichte. In Kloten wurden damals etwa 140 Personen aus einer öffentlichen Suppenküche gespeist, und auch den Bedürftigen in Opfikon und Oberhausen mussten Kartoffeln, Mehl und Reis ausgeteilt werden. Im Mai spendete das Almosenamt Zürich der Kirchgemeinde Kloten 360 Pfund Getreide; es wurde zu 100 Teilen in Kloten und zu je 20 Teilen in Opfikon und Oberhausen verteilt.
Kartoffeln ein fremdartiges Gewächs
Diese letzte Hungersnot, mit welcher ja die von uns während der beiden Weltkriege erlebten Mangelzeiten kaum vergleichbar sind, wurde dadurch gemildert, dass die Kartoffeln noch einigermassen geraten waren. Nur hatte man von diesem damals noch als fremdartig empfundenen Gewächs recht wenig angepflanzt. Die Notzeit aber wurde zur drastischen Lehre, die Landwirtschaft vielseitiger zu gestalten, von der Dreifelderwirtschaft abzugehen und in viel stärkerem Masse Kartoffeln anzupflanzen.
Epidemien
Noch schrecklicher aber als die Mangeljahre hausten die Epidemien, deren Ausbreitung durch die ungünstigen hygienischen Verhältnisse und die noch recht geringen Kenntnisse vom Wesen der Krankheiten gefördert wurde. Die Chronik berichtet von grosser Sterblichkeit in den Jahren 1691, 1693 und 1709 als Folge von Erkrankungen an Disenterie und Pocken. Über 100 Menschen fielen in der Kirchgemeinde Kloten in jedem dieser drei Jahre den genannten Krankheiten zum Opfer. Die schlimmste Geissel aber war die Pest. Im Jahre 1629, also während des Dreissigjährigen Krieges, starben in der Kirchgemeinde Kloten an dieser Seuche im August 72, im September 136, im Oktober 104 und im November immer noch 90 Personen. Insgesamt forderte sie 431 Tote, beinahe einen Drittel der damaligen Einwohnerzahl. Schon 1668 entvölkerte ein weiterer Pestzug unsere Dörfer; in Kloten fielen ihm 93, in dem viel kleineren Opfikon 86 Menschen zum Opfer. Zwischen den vielen Namen der Verstorbenen, welche Pfarrer Weiss in das Kirchenbuch einzutragen hatte, findet sich der Aufschrei:
«Ach, Herr, schone! Ach, lass doch nach deiner gnad des würgen nunmehr genug sein! Ach lieber Herr, befilch dem verderber, das er das raach- und straffschwert widerum in die scheiden stecke! Ach, verschone uns, um Jesu Christi willen!»
Dorfbrand
Eine Katastrophe ganz grossen Ausmasses ereignete sich sodann am 9. April 1764, als der ganze obere Drittel von Opfikon einem Dorfbrand zum Opfer fiel und dadurch 15 Haushaltungen obdachlos wurden. Darüber berichtet die Chronik :
«Des abends um halber 9 Uhren, da die meisten leüth schon ins bette gegangen waren, brache feür auf' in Heinrich Bossarten stall und scheür. Er hatte heüblumen geröstet und sie frechen einer kuhe übers uter gebunden, wirren sich die blachen entzündet, welche hernach die streue in den Brand gesteket, von dannen das feür, indem es der mann auf der erden löschete, das futerloch hinauf in das obere heü und Stroh gefahren. In zeit von einer vierthelstund, weil der wind das feür gewaltig tribe, stuhnden u Firsten samt dem kapellenthürnlein in voller flammen, meistens gewaltige heüser. Darbej verbrennen drei trotten, 8 haubt vihe, zeit, glöklein und feürsprützen, und sehr wenig wurde gerettet. Um 9 Uhren lege alles fast zu boden. Mit noth wusste man dem weiteren um-fressen des feürs zu wehren.»
Der ganze Schaden wurde auf 15 000 Gulden geschätzt. Eine Brandversicherung gab es damals noch nicht, wohl aber bewährte sich der Helferwille der Mitmenschen aufs beste. Auch heute zeigt es sich ja immer wieder, dass es bei plötzlich eintretenden Katastrophen viel leichter ist, Hilfe zu finden, als bei länger andauernder Not.
Schon zwei Tage nach dem Brand kamen aus allen Nachbargemeinden Kleider, Bettzeug, Getreide, Wein, gedörrtes Obst und was man sonst zum Leben brauchte. Zwei Monate lang wurden in der Stadt Liebesgaben gesammelt, ebenso in den Dörfern in weitem Umkreis. Nebst vielen Naturalien kamen so 6500 Gulden zusammen, wovon 4500 allein aus der Stadt.
Strenge Ermahnung im Pfarrhaus
Der Urheber des Brandes kam glimpflich davon. Die Opfiker schmälerten ihm seinen Anteil an den eingegangenen Liebesgaben um 50 Gulden. Nach obrigkeitlichem Befehl mussten sich ferner Bosshart und dessen Frau zur Entgegennahme einer strengen Ermahnung in das Pfarrhaus Kloten begeben. Die Strafpredigt fiel indessen milde aus, da der Pfarrer mit den durch den eigenen Verlust ja schon genügend bestraften Leuten Mitleid hatte. Zum Vergleich erwähnt aber der Chronist, dass knapp 100 Jahre früher ein Knabe, der aus Unvorsichtigkeit ein Haus in Kloten angezündet hatte, auf der Kyburg enthauptet worden sei.
Besetzung unseres Landes durch Napoleon
Auch unter der Franzosenzeit, während der Besetzung unseres Landes durch die Truppen Napoleons, hatte unser Dorf in ganz besonderem Masse zu leiden. Im Jahre 1798 requirierten die fremden Soldaten in Opfikon innert 6 Tagen 18 Saum (zu 150 Liter) Wein, 9 Mütt (zu 82 Liter) Brot, 4 Zentner Fleisch, 41 Mütt Korn (einen Vorläufer des heutigen Weizens), 23 Mütt Gerste und Roggen, 100 Zentner Heu und 8 Zentner Stroh. Das war aber erst der Anfang.
Erzherzog Karl
Im Frühjahr 1799 trieben dann die österreichischen Truppen unter Erzherzog Karl die Franzosen in schweren Kämpfen bis an die Limazar zurück. Nach dem Waffenstillstand vom 6. Juni 1799 errichtete Erzherzog Karl sein Hauptquartier im «Löwen» zu Kloten, wobei rings um dieses Zentrum ein mächtiges Heerlager entstand. Das 96 Jucharten umfassende Getreidefeld oberhalb Opfikon diente den neuen Eindringlingen als Lagerplatz, so dass von der bevorstehenden Ernte kein Hälmchen übrig blieb. Das Dorf hatte drei Monate lang 165 Mann und 130 Pferde zu verpflegen, und zwar ohne Entschädigung. Die Lagerfeuer wurden mit 25000 Rebstickeln unterhalten.
General Korsakow
Am September löste dann der russische General Korsakow mit seinen Truppen die Österreicher ab. Er schlug sein Quartier in der Mühle Kloten auf und belegte Opfikon mit drei Bataillonen Infanterie. Unser Dorf galt als von diesen Ereignissen am schwersten betroffen. Deshalb sammelte man am 3. und 4. September zu seinen Gunsten in 38 Zürcher Gemeinden.
General Masséna, Plünderungen an der Tagesordnung
Am 25. September 1799 aber löste der französische General Masséna durch einen Überraschungsangriff im Limmattal die zweite Schlacht bei Zürich aus, so dass sich die Russen in aller Eile über Unterstrass–Oerlikon–Kloten zurückzogen. War schon im Mai 1799 ein Brennpunkt des Kampfgeschehens bei Dübendorf und Schwamendingen zu verzeichnen gewesen, so erfolgte nun der Rückzug der russischen Hauptkolonne mitten durch das Dorf Opfikon. Erneut zogen die Franzosen bei uns ein, um bis 1800 zu bleiben. Plünderungen waren weiterhin an der Tagesordnung. Gemäss Chronik requirierten die fremden Truppen am 27. Oktober 1799 in Opfikon 17 Schweine, 1336 Garben Roggen, 440 Liter Getreide in Säcken, 6000 Liter Kartoffeln, Erbsen, Bohnen und gedörrtes Obst, 168 Pfund Fleisch, ferner Geschirr, Stoff und Kleider, und auch die zum Wegführen dieser Waren benötigten Wagen und Pferde kamen nicht mehr zurück.
Quelle: Opfikon Glattbrugg Oberhausen - Einst und jetzt 1969